Geschäftsschließung aufgrund behördlicher Anordnung

BGH, Urteil vom 12.01.2022, Az. XII ZR 8/21

Für Mieter gewerblich genutzter Räume, die von einer Geschäftsschließung aufgrund behördlicher Anordnung betroffen sind, kommt ein Anspruch auf Anpassung der Miete nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) in Betracht. Maßgeblich sind dabei jedoch stets die Umstände des Einzelfalls.


Die Entscheidung
:

In seinem Urteil hat der BGH zunächst klargestellt, dass staatliche angeordneten Betriebsschließungen keinen Mangel der Mietsache i.S.d. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellen. Derartige Gebrauchsbeschränkungen beruhen danach gerade nicht auf der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts. Vielmehr würde allein an den Geschäftsbetrieb der betroffenen Mieter und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr angeknüpft.

Die betroffenen Mieter sind deshalb auch nicht von ihrer Pflicht zur Mietzahlung befreit, da es den jeweiligen Vermietern weiterhin möglich ist, den Gebrauch der Mietsache zu gewähren. Durch die behördlichen Schließungsanordnungen wurde die Überlassung der Räume nicht verboten, sodass diese weiterhin für den vereinbarten Vertragszweck zur Verfügung standen.

In Betracht kommt nach Ansicht des BGH jedoch ein Anspruch der betroffenen Mieter auf Anpassung der Miete aufgrund Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB. Dies setzt voraus, (1) dass sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend geändert haben, (2) die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten und (3) dem eine Anpassung verlangenden Vertragsteil ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Maßgeblich ist hierfür nach BGH die Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, insbesondere die vertragliche oder gesetzliche Risikoverteilung. Zwar trage grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache. Beruhe u.a. die enttäuschte Gewinnerwartung jedoch auf hoheitlichen Maßnahmen wie Betriebsschließungen, gehe dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko hinaus. In diesem Fall verwirkliche sich vielmehr das allgemeine Lebensrisiko, das – jedenfalls ohne entsprechende vertragliche Regelung – von der mietvertraglichen Risikoverteilung gerade nicht erfasst sei.

Die bedeute allerdings nicht, dass betroffene Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Schließungszeitraum verlangen könnten. Eine pauschale Betrachtungsweise verbiete sich. Im Rahmen der gebotenen Einzelfallabwägung sind nach BGH insbesondere folgende Umstände von Relevanz:

  • Von Bedeutung sei zunächst, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließungen und deren Dauer entstanden sind. Diese werden bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang bestehen.
  • Ferner ist zu bewerten, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste zu vermindern.
  • Auf der anderen Seite seien auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aufgrund staatlicher Leistungen oder von einstandspflichtigen Versicherungen erhalten hat.
  • Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich.
  • Schließlich sind bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.
  • Die Darlegungs- und Beweislast für die Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag obliege dabei grundsätzlich dem eine Vertragsanpassung fordernden Mieter.


Fazit
:

Der BGH hat klargestellt, dass ein Anspruch eines Mieters gewerblich genutzter Räume auf Mietanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage zwar prinzipiell in Betracht kommen kann, jedoch nicht zwingend in Betracht kommen muss. Ob und in welchem Umfang der von einer Schließungsanordnung betroffene Gewerbemieter eine Mietreduzierung verlangen kann, ist vielmehr anhand einer umfassenden Einzelfallbetrachtung zu beurteilen. Schematische Lösungen verbieten sich.

In der Praxis dürfte die Entscheidung des BGH dazu führen, dass im Rahmen der Verhandlungen über eine mögliche Mietanpassung noch umfassender als bislang die jeweiligen Folgen einer angeordneten Geschäftsschließung anhand der obigen Kriterien zu berücksichtigen sind.

Die hierauf basierende Ausarbeitung einer einvernehmlichen und außergerichtlichen Lösung könnte für die Mietvertragsparteien dabei die beste Rechtssicherheit bieten. Neben einer Mietanpassung sind auch diverse andere kreative Lösungen denkbar, wie etwa die Gewährung mietfreier Zeiten, Vermieterdarlehen oder anderer Incentives für den Mieter.

Im Hinblick auf neu abzuschließende Gewerbemietverträge empfiehlt sich die Aufnahme ausdrücklicher vertraglicher Regelungen zur Risikoverteilung im Falle von behördlichen Schließungsanordnungen, um künftige Auseinandersetzungen zum Thema zu vermeiden.

 

RA Robin von Jacobi

 

Zum Volltext der Entscheidung: Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.01.2022, Az. XII ZR 8/21

 

Vorinstanzen: 

LG Chemnitz – 4 O 639/20 – Urteil vom 26. August 2020 

OLG Dresden – 5 U 1782/20 – Urteil vom 24. Februar 2021